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Vom Ausbruch der Cholera zur Epidemie

– Rolf Maibach

Dr. Silvia Ernst und Ian Rawson, der Managing Director schreiben uns täglich in eindrücklicher Weise über die Situation am Hôpital Albert Schweitzer. Ich fasse hier die wichtigsten Ereignisse zusammen:

In der Mitte der vierten Woche nach dem Ausbruch der Cholera wurden wir am Hôpital Albert Schweitzer (HAS) durch einen erneuten Schub einer grossen Zahl von Cholera Patienten zurückgeworfen. Die beiden Cholera Kliniken für Kinder und Erwachsene mussten gestern mehr als 80 neue Patienten aufnehmen. Die Ausläufer des Wirbelsturms TOMAS hatten die mit Cholera kontaminierten Reisfelder im Tal überschwemmt und teilweise zerstört, was den Menschen nach Ende der Regenzeit noch zusätzliche Probleme bringen wird (Nahrunsmittelmangel). Während dem starken Regen und Sturm blieben viele Kranken trotz Symptomen zu Hause und kamen nun in entsprechend schlechtem Zustand. Die Behandlung dauert entsprechend länger und es treten vereinzelt auch wieder Todesfälle auf.

Die Equipe des Centers for Disease Control von Atlanta USA (CDC), die immer noch bei uns arbeitet und die Situation analysiert und überwacht, meinte auf Grund ihrer weltweiten Erfahrung mit Cholera, dass dieser Verlauf der Cholera (Rückgang der Kranken nach initialem Ausbruch und nun erneuter Anstieg) sehr typisch sei für eine schwere Cholera Epidemie. Wir wissen, dass die Cholera vor allem zu Beginn einer Epidemie zumeist durch kontaminiertes Wasser übertragen wird. Wir wissen aber auch, dass die Mehrheit der mit Cholera infizierten Menschen, ungefähr 75%-85%, keine Symptome entwickeln und nicht krank werden. Sie sind aber Träger der Bakterien und können andere Menschen anstecken. Bei andern können die Symptome mild sein und nicht zu einem Krankenhausaufenthalt führen. Alle diese Menschen gehen ihrer täglichen Arbeit nach, viele reisen auch zu ihrer Arbeit in den Städten, zu den grossen Märkten. Die alten in den USA ausrangierten Schulbusse sind jeden Tag mit Menschen und Marktgütern voll gestopft und sind eine grosse Gefahr für die Übertragung der Cholera überallhin in Haiti. Die direkte Übertragung von Mensch zu Mensch oder über Nahrungsmittel ist ein Zeichen einer fortschreitenden Epidemie. Der Ausbruch der Cholera in der Hauptstadt Port-au-Prince und in der zweitgrösste Stadt Cap Haitian im Norden Haitis war deshalb nur eine Frage der Zeit. Die andere grosse Stadt Gonaives an der Westküste, nur eine Autostunde von uns entfernt, wurde ebenfalls erreicht und die dortige Infrastruktur ist wiederum wie schon bei den Wirbelstürmen vor zwei Jahren überfordert und teils zusammengebrochen, so dass wieder Leichen in den Strassen liegen bleiben…

Leider sind wir in Haiti bereits im Stadium der unkontrollierten und unbeherrschten Epidemie, man spricht von Grad 5, der höchsten in der internationalen Einteilung bezüglich Inzidenz (Vorkommen) der Krankheit und Vorbereitung der Bevölkerung darauf. Unsere Region im Artibonite rund um das Spital wurde unterdessen durch das CDC auf Grad 3 zurückgestuft (bessere Prophylaxe und bessere sowie raschere Therapiemöglichkeiten). Grad 3 bedeutet eine gewisse Balance zwischen Nachfrage und Angebot, respektive Verfügbarkeit von Behandlungsmöglichkeiten. Übereinstimmend wird das HAS von internationalen Spezialisten und besuchenden Medienleuten als gut organisiertes Therapiezentrum bezeichnet. Das amerikanische NEWSWEEK schreibt: „In den beiden Cholera Kliniken am HAS für Kinder und Erwachsene ist alles gut organisiert. Jeder Patient hat einen Helfer, normalerweise einen Verwandten am Bett, der die Grundpflege durchführen kann. Niemand schreit oder schimpft. Es herrscht eine eigenartige Ruhe, weil alle wissen, dass sie hier wirkungsvolle Hilfe bekommen.“ Über diese spezielle, fast andächtige Ruhe im HAS, besonders nach Katastrophen, hatte ich selbst schon unmittelbar nach dem Erdbeben geschrieben. Es war damals eines meiner eindrücklichsten Erlebnisse in Haiti überhaupt.

Rolf Maibach

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