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Haiti und das Hôpital Albert Schweitzer 2 Jahre nach dem Erdbeben

– Rolf Maibach

Die Veränderungen in der 3 Millionen Hauptstadt Port-au-Prince und auf dem Land sind sehr unterschiedlich. Während in der Hauptstadt immerhin tausende von Tonnen Schutt weggeräumt werden konnten und trotz schwierigen Eigentumsverhältnissen (kein eigentliches Grundbuch)  Ansätze von Wiederaufbau erkennbar sind, läuft der Wiederaufbau in der Peripherie völlig anders. Zerstörte Gebäude konnten hier rascher durch Fertigbauten ersetzt werden, so dass man sich jetzt mehr auf die Verbesserung der Infrastruktur konzentrieren kann. Während Jahrzehnten wurde die Peripherie als minderwertig angesehen; Entwicklung gab es vorwiegend im Zentrum, Entscheidungen werden dort getroffen;  Abwanderung von fähigen Leuten aus der Peripherie, Armut, Überbevölkerung, Mangel an Schulen und höheren Bildungsmöglichkeiten waren die Folgen und schufen einen Teufelskreis.

Unmittelbar nach dem Erdbeben war am Hôpital Albert Schweitzer Haiti (HAS) natürlich die Nothilfe im Vordergrund – die korrekte Behandlung von 1315 Verletzten, die zumeist auf Lastwagenbrücken aus der Hauptstadt gebracht wurden. Mit Hilfe von 80 ausländischen Chirurgen, Orthopäden und Anästhesisten und dem maximalen Einsatz des wunderbaren haitianischen Teams gelang das schier Unmögliche: Fast alle dieser zum Teil schwer verletzten Menschen überlebten; nur gerade bei 15 der hunderten von Patienten mit offenen Frakturen mussten Amputationen durchgeführt werden. Knapp 6 Wochen nach der Katastrophe konnten wir als erste in Haiti im ehemaligen Konferenzzentrum (Burnett-Lockhardt-Zentrum)  eine Prothesenwerkstatt für die tausenden von Amputierten in Haiti eröffnen., die mit 40 neu angefertigten und angepassten Prothesen pro Woche rasch zur effizientesten Werkstatt der ganzen westlichen Welt wurde – die grösste Werkstatt in den USA bringt es auf durchschnittlich 25 pro Woche. Bis Ende 2011 wurden mehr als 1100 Menschen mit Amputationen wieder zum Laufen, Tanzen und Lachen gebracht! Das war nach der Notfallhilfe sicher unser wichtigster Beitrag zum Wiederaufbau.

160‘000 Menschen kamen nach dem Beben in unser Artibonite Tal; die meisten sind geblieben. Wir führten im Auftrag der UNO Arbeitsprogramme (pay-for-work) für diese Menschen durch (Kanalreinigungen, Strassenreparaturen etc.), damit ihre Familien eine Existenz hatten. Viele fanden auch in unserem Aufforstungsprogramm  Arbeit und haben nun eine Zukunft. Die Gesundheit dieser Einwanderer und besonders die der Kinder ist verletzlicher als die der ansässigen Bewohner. Deshalb mussten wir unsere Kinderabteilung räumlich und personell um einen Drittel erweitern. Daraus ergeben sich erhebliche Mehr-kosten für die BÜNDNER PARTNERSCHAFT HAS HAITI (BPHASH), die ja den Betrieb der Kinderabteilung seit mehr als zwei Jahren und nun auch in der Zukunft finanziert. Besonders die Neugeborenen Abteilung muss wesentlich modernisiert und erweitert werden, die einzige Abteilung für kranke Neugeborene und Frühgeborene im Umkreis von mehr als 100 km. Die vollständige Finanzierung und Überwachung des Betriebs der Kinderklinik aus der Schweiz ist wohl der wichtigste und nachhaltigste Beitrag, den die BPHASH für Haiti leistet!

Die Cholera, die erstmals Mitte Oktober 2010 praktisch vor unserer Haustüre, in den Reisfeldern des Artibonite Tals, ausbrach und dann im Juni 2011 einen noch stärkeren lokalen Ausbruch mit bis zu 250 Cholerakranken pro Tag zeigte, beeinträchtigte unsere Aufbauprojekte vorübergehend. Total wurden am HAS  bis Ende Oktober 2011 7114 Cholerakranke behandelt. Die rasche, entschlossene und zielgerichtete Katastrophen-bewältigung meiner Nachfolgerin, Frau Dr. Silvia Ernst, als Medizinische Direktorin, ermöglichte es, dass das HAS seine Aufgabe als Referenzspital für Pädiatrie, Chirurgie, Innere Medizin, Risiko-Geburtshilfe und Gynäkologie  zu jedem Zeitpunkt erfüllen konnte. Das 55 Jahre alte Labor wurde ebenfalls mit Mitteln der BPHASH renoviert und wird nun mit einer Bakteriologie/Parasitologie zur verbesserten Infektionsdiagnostik ergänzt. Krise kann eben auch eine Chance für eine Weiterentwicklung sein. 

Die BPHASH hat neu das Projekt von Dr. Elvira Ghioldi und Daniel Thüring zur Finanzierung der Schulung von 160 besonders bedürftigen Kindern der benachbarten Ecole Pélérin in Deschapelles und teilweise der Sanierung der Schule mit fast 700 Kindern übernommen. Es soll eine Ausnahme sein, dass wir uns ausserhalb des Gesundheitswesens engagieren. Denn wir wollen unsere Kräfte nicht verzetteln. Andererseits wollen wir mit der Unterstützung der Schule auch ein Zeichen setzen: Fortschritt und Wiederaufbau ist in Haiti nur möglich mit Investition in die Bildung der Menschen. Wir hoffen, dass das nicht nur die zahlreichen Hilfswerke in Haiti, sondern auch der neue Präsident und seine Regierung begriffen haben.

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